Allgemein leben MEINUNG womenempowerment

An den Mann von letzter Woche, der Klara …

Wie es sich anfühlt, sexuell belästigt zu werden.

Weißt Du, wie es Marie* geht, wenn Deine Freunde ihr an den Arsch fassen und sich dann nicht mal schämen, wenn man ihnen sagt, dass sie aufhören sollen? Schließlich hat ihre enge Hose ja dazu eingeladen, ihren Körper zu begrapschen.

Weißt Du, wie es Lea geht, wenn Du ihr hinterher rufst, wie geil Du ihre Brüste findest?

Weißt Du, wie es mir geht, wenn die zwei ekelhaften Männer im Bus vom Freibad nach Hause, mir an den Po fassen, weil ich eine kurze Hose trage?

Nein, wahrscheinlich weißt Du das nicht. Wie solltest Du auch? Dir hat noch nie jemand im Vorbeigehen gesagt, dass er Dich von hinten nehmen würde, aber nicht von vorne, weil: “Hast du schon mal ihr Gesicht gesehen?”

Wie sollst Du wissen, wie sich der Ekel, der einen überkommt, wenn ein fremder Mensch dich an den Brüsten anfasst, anfühlt? Du hast ja keine.

Lass mich Dir helfen, lass mich versuchen, Dir zu erklären, wie es sich anfühlt, belästigt zu werden.

Vielleicht hast Du noch nie darüber nachgedacht, aber keine Frau denkt sich nach einem Schnalzen mit anschließendem “Komm her, Baby, ich gebs dir!” – “Oh ja, mit dem Mann dahinten, der mir grade so eklig hinterhergerufen hat, gehe ich heute Abend nach Hause.”

Aber darum geht es Dir doch gar nicht, oder?

Worum geht es Dir, wenn Du mir hinterherpfeifst?

Vor ein paar Tagen habe ich mit einem Bekannten über “Catcalling”, also das laute, sexuell fordernde- oder anbietende Anrufen von Frauen in der Öffentlichkeit, geredet. Er selber hat noch nie etwas in der Richtung von Catcalling gemacht. Trotzdem war er überrascht, dass ich keine positive Seite am Catcalling sehe. Natürlich sehe ich keine.

Als würde es mir Selbstvertrauen geben, wenn Du mir hinterher rufst. Als würde Marie sich gut fühlen, wenn Deine Freunde ihr an den Hintern greifen.

Keiner findet das geil. Was Marie fühlt, ist Wut.

Wut worauf?

Vielleicht auf deine Freunde, weil die sich rausnehmen sie anzufassen, ohne sie vorher zu fragen. Wut auf Dich und Deine Freunde, weil Euer verkehrtes Frauenbild es zulässt, dass Ihr nachts noch ruhig schlafen könnt, obwohl Ihr zwei Stunden vorher andere Menschen nur aufgrund ihres Geschlechts respektlos und degradierend behandelt habt.

Wut auf Euch, weil Ihr am Ende noch ein “Jaja, reg dich ruhig auf. Wenn ich dir ‘n Kuss geb’ ist eh alles wieder gut” raus haut.

Für Euch hat sich die Sache dann erledigt. Wahrscheinlich denkt Ihr gar nicht mehr darüber nach. Aber, wenn Ihr ins Bett geht und schlaft, geht es bei Charlotte erst richtig los. Sie ist jetzt nicht mehr nur sauer.

Sie fühlt sich dreckig. Dreckig von Deinen Fingern, die ihren Körper berührt haben. Dreckig, weil sie irgendwie nicht richtig reagiert hat, – aber wie auch? Es ging ja alles so schnell. Sie muss duschen, weil der Gedanke daran, mit dem Phantom-Gefühl von Deinen Händen auf ihrem Körper einzuschlafen, ihr schon fast Kotzreiz gibt. Deine Hand an Charlottes Hüfte im Klub. Deine Hand an Charlottes Po im Klub. Das Wasser läuft. Sie schrubbt. Seife. Ihre Augen fallen zu, weil sie so müde ist. Flashback. Schnell die Augen wieder auf.

Spätestens ab hier verdrängt Marie dann, wie Deine “Brüder”, Tim und Paul, sie angefasst haben. Sie legt sich ins Bett. Denkt daran, was sie morgen macht. Irgendwie muss sie ja auch mal einschlafen können.

Dein Rufen berührt Marie und Lea und vielleicht auch Charlotte nicht mehr, weil sie Leute wie Dich und Deine Freunde jeden Abend, wenn sie rausgehen, hören und sehen. Sie sehen Deine Blicke. Und sie sind daran gewöhnt.

So ist das eben, wenn man als 16-Jährige im Strickpulli mit V-Ausschnitt durch die Straßen läuft. So ist das eben, wenn man als 16-Jährige eine figurbetonte Hose trägt. Deiner Meinung nach, müssen sie das akzeptieren, wenn sie sich so anziehen. Sie fragen ja quasi danach, oder nicht?

Nein, tun wir nicht. Das, was wir tragen ist keine Einladung für Dich, uns anzufassen.

Das, was wir tragen ist keine Einladung für Dich, unser Aussehen zu kommentieren.

Wir sind nicht hier, um Dir zu gefallen.

Verstehst du jetzt, was Marie denkt? Wie es Lea geht? Was Charlotte daran stört, wenn Du sie beim Feiern von hinten antanzt?

Tatyana Fazlalizadeh ist Künstlerin in New York und hat die Straßen Kampagne “stop telling women to smile” gegen street harassment ins Leben gerufen. “Street harassment” ist sexuelle Belästigung auf der Straße.

Sie hat Frauen, die täglich mit Catcalling in Berührung kommen, porträtiert und zusammen mit einer persönlichen Nachricht an die “Catcaller” auf Plakaten in die Straßen New Yorks, Paris’ und Mexiko Stadts geklebt. Es waren Nachrichten wie “Not here to be pretty for you” oder “You can keep your thoughts on my body to yourself”, oder “Women are not outside for your entertainment”. Ich mag besonders “You are not entitled to my body”, denn von Allem auf der Welt hast Du nun wirklich gar keinen Anspruch auf meinen Körper.

*Alle erzählten Geschichten sind wahr. Sie sind entweder mir oder Freundinnen von mir passiert.

2 Kommentare

  1. Ein wirklich ehrlicher Text! Mehr Männer sollten ihn lesen! Ich bin wirklich fasziniert von deiner Schreibkunst! Weiter so!

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  2. Einfach wunderbar, sehr stark, auf den Punkt! Was ich aber nicht verstehe: Wenn mir ein Maedchen hinterherruft, dass sie mich geil findet – und wenn sie eine Bohrmaschine in der Hand hat und mich mit der anderen anfasst – ich kaeme nie auf die Idee, sie wuerde mir ‚was antun wollen. Im Gegenteil. Ich faend’s vielleicht sogar heiss. Warum denken Maedchen da anders? Und in wiefern?

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