corona LIEBE/SEX/LIEBE

Milan

Milan ist 21 Jahre alt und studiert im fünften Semester Elektrotechnik an einer Technischen Universität. Er schreibt über Corona und Liebe.

Eigentlich hat mich Corona nie wirklich beeinträchtigt. Ich bin kein großer Clubgänger. Ich kann mit der ganz passablen Onlinelehre fast so weiter studieren wie zuvor und muss mir aufgrund meines gut laufenden Werkstudentenjobs und der Unterstützung durch meine Eltern auch keine finanzielle Sorgen machen.

Und doch ist es eine harte Zeit für mich. Obwohl ich keine Existenzsorgen und eine Menge Leute um mich herum habe, ist es verdammt hart.

Ich habe mich lange gescheut, das Folgende aufzuschreiben. Ich möchte nicht wie ein Jammerlappen klingen, der sich über Luxusprobleme beklagt. Viele mögen entgegnen, ich als angehender Ingenieur könne froh sein, an einer Technischen Uni überhaupt mal eine Freundin gefunden zu haben. 

Das ist die Geschichte vom Scheitern meiner ersten richtigen Beziehung. Sie ist untrennbar mit den Ereignissen im letzten Jahr verbunden.

Sophia und ich haben uns zu Beginn unseres Studiums im Wintersemester 2018/2019 kennengelernt. Sie pendelt anfangs noch die knapp 100 Kilometer von ihren Eltern zur Uni, jeden Tag eine Stunde hin und zurück. Ich biete ihr gelegentlich an, einfach bei mir in der WG zu übernachten. Wir kommen richtig gut miteinander aus, führen tiefgründige Gespräche bis spät in die Nacht. Nach einigen Wochen frage ich sie, ob sie mit mir zusammen sein will. Es bahnt sich eine Beziehung an. Ich bin überglücklich.

Vielleicht könnte man Sophia als Nerd bezeichnen. Sie verbringt viel Zeit damit, mit größter Perfektion Übungsaufgaben für die Uni zu rechnen. Sie mag Mathe, kann mit Formeln besser als mit Menschen. Gleichzeitig ist sie sehr attraktiv, sportlich. Wir passen gut zusammen.

Bisweilen leidet unsere Beziehung unter unserem Perfektionismus und ihrer Schüchternheit. Sie macht sich Sorgen, nicht gut genug zu sein. Macht sich zu viel Stress mit dem Studium und hat deshalb nicht so viel Zeit für mich.
Insgesamt haben wir aber eine schöne Zeit zusammen. Verstehen, wie die andere Person tickt, können uns gegenseitig bei der Uni helfen, machen ab und zu gemeinsam Sport.

Nach dem Lockdown im März 2020 kehre ich Mitte April wieder in meine WG zurück. Sophia bleibt bei ihren Eltern, um abzuwarten, bis sich die Lage verbessert.
So hört jeder die Vorlesungen alleine am Computer an, anstatt dass wir morgens gemeinsam zum Campus fahren und dann abends nach einem anstrengenden Tag nebeneinander ins Bett fallen. Sophia hat zu Hause ihre Routine, die sie in der Klausurenphase immer hatte. Früh aufstehen, und dann, unterbrochen von einer Runde Laufen, den ganzen Tag lernen.

Für mich ist jegliche Routine aufgelöst. Für mich gibt es kaum einen Grund, morgens aus dem Bett zu kommen. Ich stelle mir den Wecker auf wenige Minuten vor Vorlesungsbeginn, klappe den Laptop auf, und verfolge die Vorlesung aus dem Bett.

Abends habe ich meist das Gefühl, dass der Tag irgendwie noch nicht vorbei sein kann. Ich fühle eine meine Müdigkeit übertönende Unruhe. Oftmals kann ich mich erst nach Mitternacht aufraffen, überhaupt etwas für die Uni zu tun. Entsprechend spät schlafe ich ein. Entsprechend spät komme ich am nächsten Tag wieder aus dem Bett. Ein Teufelskreis.

Abgesehen von gelegentlichen Videotelefonaten bekomme ich meine Freundin nicht zu Gesicht. Ihre Art mit der neuen Situation umzugehen, ist der komplette Fokus aufs Lernen. Anfangs habe ich noch gedacht, die Lage würde sich nach einigen Wochen wieder normalisieren. Aber mittlerweile ist das Semester schon in vollem Gang, und es ist kein Ende in Sicht. Ich warne Sophia, sie könne ihren krassen Lernplan nicht bis zu den Klausuren im Herbst durchziehen. Dass sie daran zerbrechen würde. Sie sieht keine andere Option, als jetzt erstmal so weiterzumachen und verweist darauf, dass sie ja wieder zurückkommt, wenn die Maßnahmen aufgehoben werden.

Ich vermisse Sophia, will sie endlich wiedersehen. Ich biete an, zu ihr zu fahren. Aber sie lehnt ab. Sie sieht niemanden mehr außer ihren Eltern und ihren Bruder.

Meine Hoffnungen, sie zu besuchen, werden mit jedem Gespräch erneut enttäuscht. Sie sieht, wie ich leide und hat mir gegenüber ein schlechtes Gewissen, kann sich aber dennoch nicht dazu durchringen, dass ich vorbeikomme und damit ihren Tagesplan durcheinander bringe.

Ein paar Mal kommt Sophia vorbei, aber nur, wenn sie Material an der Uni oder Post abholen muss. Sobald sie geht, ist der Schmerz über meine Einsamkeit wieder umso größer. Ich versuche mich mit der Gesellschaft meiner WG über Wasser zu halten, hänge den ganzen Tag in der Küche ab und rede mit meinen Mitbewohnern.

Mitte Mai beendet sie die Beziehung, weil sie mich nicht mehr mit der Situation belasten will. Einige Stunden später kommt dann ein erneuter Anruf von ihr – sie hat es sich anders überlegt. Wir bleiben fürs Erste zusammen.

Ende Mai dann ein Lichtblick: Sie kommt in die Stadt, nimmt mich auf dem Rückweg im Auto mit zu ihren Eltern. Wir grillen gemeinsam, es ist fast wie früher, wenn ich bei ihr zu Besuch war. Es ist der erste Tag seit dem Semesterstart im April, an dem sie nicht um 6 aufsteht und sich dann von früh bis spät nur mit Uni beschäftigt. Ihr erster freier Tag seit über einem Monat. Aufgrund der Verpflichtungen durch meine Abeit, muss ich am nächsten Tag wieder zurück. Es ist der schmerzhafteste Rückweg von ihr, den ich je angetreten habe.

Ich will selbst nicht wahrhaben, dass es im Grunde vorbei ist. Überlege mir nach Wochen ohne physischen Kontakt, die Sache zu beenden. Dann kommt Sophia im Juni spontan vorbei und ich schicke meine am Abend zuvor vorbereitete Schlussmach-Nachricht doch nicht ab.
Mir fällt mir auf, dass Sophia sich verändert hat. Sie ist verschlossener gegenüber mir und ihrer Umwelt. Sie, die schon immer ein sehr introvertierter Mensch war, ist noch mehr in sich gekehrt. Ich beginne, mir nicht nur Sorgen um unsere Beziehung zu machen, sondern auch um ihre psychische Konstitution.

Mitte Juni, nach einem weiteren emotionalen Telefonat – sie ist sich wieder nicht sicher, ob es für sie, mich und ihren Lernrhythmus gut ist, wenn ich vorbeikomme – wird mir bewusst, dass es so nicht weitergehen kann. Um einen klaren Kopf zu bekommen, fahre ich aus der Stadt raus in die Natur. Genieße den Sonnenuntergang zwischen den umliegenden Hügeln. 

Mir wird klar, dass ich unter anderem die Beziehung noch nicht beendet habe, weil ich noch voller Hoffnung war, es würde sich alles wieder normalisieren. Voller Hoffnung, dass Corona nach ein paar Monaten vorbei ist, dass das Semester normal weitergeht, Sophia wieder zu mir in die Stadt zieht. Aber nichts hat sich seit Semesterbeginn verändert. Ich hatte, wie so viele andere, Corona unterschätzt.

Meine anfängliche Erleichterung, in dieser schwierigen Zeit wenigstens meine Freundin an meiner Seite zu haben, ist vollkommen illusorisch gewesen . Mir wird bewusst, wie scheiße es mir die ganze Zeit geht. Wie sehr ich meine ganze Frustration in mich hineingefressen habe: Anderen ging es ja schlimmer als mir, wie konnte ich mich da beklagen.

Zurück zuhause rufe ich Sophia an und beende die Beziehung. Ich hätte es schon viel früher tun sollen. Neben dem ganzen Wehmut fühle ich mich befreit von der immer neu eintretenden Enttäuschung, meine Freundin wieder nicht zu sehen. Für sie bricht in diesem Moment eine Welt zusammen, die für mich schon seit Wochen am zerbröckeln war.

In den nächsten Tagen erzähle ich meinen Mitbewohnern, dass ich wieder Single bin. Ich nutze die neugewonnene Freiheit, und besuche alle möglichen Freunde, die in Tagesausflug-Entfernung wohnen. Ich gehe auf eine der seltenen Partys, die wieder möglich sind. Ich mache Sport. Ich arbeite. Ich höre zwar noch ein paar Vorlesungen, aber mache sonst nichts für die Uni. Zu Sophia halte ich weiterhin den Kontakt, ich will sie nicht komplett alleine lassen. Es ist jetzt leichter für mich. Ich weiß jetzt, dass es vorbei ist.

Ende Juli, bei der ersten Klausur des Sommersemesters, sehe ich Sophia das erste Mal seit einem Monat wieder. Obwohl wir nicht mehr zusammen sind, freue ich mich, sie zu sehen. Genieße die Nähe, als wir uns umarmen. Sie ist noch scheuer geworden, hat förmlich Angst vor den Menschen. Als ich sie nach der Klausur noch mit ein paar Kommilitonen zu mir in die WG einlade, verkriecht sie sich bei mir auf dem Zimmer, während ich mit den anderen in der Küche sitze. Sie ist betrübt, dass sie mich durch ihre Angst den anderen gegenüber davon abhält, eine schöne Zeit zu haben und fährt wieder zurück zu ihren Eltern. 

Die Klausurenphase schreitet weiter voran. Erst Ende August habe ich das Gefühl, dass Sophia mir nicht mehr fehlt. Jedoch fehlt mir die Geborgenheit einer Partnerschaft. Ich bin bereit, wieder jemanden neues kennenzulernen. Aber wo? Hinzu kommt, dass ich jetzt wieder verstärkt durch meinen Arbeit eingespannt bin und noch einige Klausuren schreiben muss. Und selbst bei minimalem Lernaufwand habe ich keine Zeit, noch groß nach Frauen im testosterongetränkten Umfeld einer Technischen Uni Ausschau zu halten.

Im Oktober fahre ich mit meiner Familie in den Urlaub. Kann abschalten, entspannen.
Sophia hat inzwischen eine Therapie angefangen, um ihrer Probleme Herr zu werden. Es ist sehr hart für sie. Ich versuche, für sie immerhin noch als „normaler“ Freund da zu sein.

Obwohl ich sichtlich entspannt aus dem Urlaub komme, trifft mich die Rückkehr hart. Ich hatte eigentlich darauf gehofft, dass ich ihm Rahmen der Erstsemesterbegrüßungen wieder mehr unter Leute käme und vielleicht auch die ein oder andere weibliche Bekanntschaft schließen könnte. Nichts dergleichen passiert. Die Infektionszahlen explodieren, und alles fällt aus oder wird ins Virtuelle verlagert. Ich habe zwar meine Mitbewohner um mich rum, aber kaum Möglichkeiten, neue Menschen kennenzulernen.

Nach den ersten Wochen des Wintersemesters versuche ich mich mit Datingapps. Ich habe genau ein Match. Und zwar mit einer Kommilitonin, mit der ich ohnehin schon befreundet bin. Als sich nach zwei Wochen sukzessiven Erweiterns des Suchradius auf schließlich 40 km immer noch nichts ergeben hat, gebe ich entnervt auf und lösche die App wieder.

Die Tage werden immer kürzer, und die zunehmende Dunkelheit schlägt auf meine Stimmung. Ich will die Freiheit des Single-Daseins ausnutzen, vielleicht ein paar neue sexuelle Erfahrungen sammeln. Stattdessen: mieses Novemberwetter, und keine Aussicht auf Besserung. Es wird zunehmend bedrückender, Abend für Abend alleine im Bett zu liegen

Anfang Dezember bin ich dann so verzweifelt, dass ich eine gute Freundin, mit der ich in letzter Zeit immer mehr unternommen habe, frage, ob sie sich nicht eine F+ mit mir vorstellen könnte. Sie lehnt ab, findet es aber gut, dass ich so offen mit ihr darüber gesprochen habe. Immerhin sehen wir uns öfters und sie leistet mir als Freundin Gesellschaft.

Ich treffe mich mit einem Kommilitonen, dem es ähnlich geht wie mir. Auch seine Beziehung ist im Frühling zerbrochen. Er erzählt mir von seiner Mitbewohnerin, die beruflich unter der Woche quer durch Deutschland fährt und dort auch gerne die ein oder andere Affäre mitnimmt.  Er findet das wegen der Vielzahl ihrer Kontakte nicht cool, es macht ihn aber auch neidisch.

Mitte Dezember ist sogar vieles, was Anfang November noch möglich war, wieder verboten. Ich sehne mich nach einer Person, die mich jetzt, in diesen unsicheren Zeiten, festhalten kann. Die mich in den Arm nimmt und mir dass Gefühl gibt, dass wenigstens in diesem Moment alles gut ist. Das letzte Mal, dass ich wirklich dieses Gefühl der Geborgenheit hatte, ist mittlerweile über 7 Monate her.

Auch 2021 geht es weiter wie zuvor.

Sophia ist inzwischen mit ihrer Therapie fertig und wohnt seit Mitte Januar auch wieder in meiner Stadt. Obwohl unsere Beziehung schon vor Corona nicht ideal war, ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass mir alles lieber wäre, als weiterhin alleine zu sein. Aber Sophia will lernen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, und das kann sie nur allein.

Ein Freund besucht mich. Wir sprechen über unsere im letzten halben Jahr zerbrochenen Beziehungen und dass es gerade jetzt schön wäre eine Partnerin zu haben.

Das macht mir Mut, weil mir bewusst wird, dass ich kein Einzelfall bin. Wie mir ist es vielen ergangen. Auch ihm fällt es schwer, nachts den Tag für beendet zu erklären, und sich einfach schlafen zu legen.

Ich habe mich einigermaßen mit meiner Situation abgefunden. Bald stehen wieder Klausuren an. Ich werde ohnehin kaum Zeit haben, mir schlechte Gedanken zu machen. Ich freue mich auf den kommenden Sommer. Viel schlimmer als der letzte kann er sowieso nicht werden.

Alle Namen wurden geändert.

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