„Ich hatte das Gefühl, dass Corona endlos ist. Bis ich gehört habe, dass der Impfstoff raus kommt. Jetzt dieses Gefühl zu haben, passt nicht mehr. Wenn genug Leute geimpft sind, ist es vorbei. Es wird auf jeden Fall vorbei gehen. Ich hatte das Gefühl der Endlosigkeit, als der zweite Lockdown kam. Dieses Gefühl, in der Situation gefangen zu sein. Deswegen geht es mir nicht gut, weil man aus der Situation nicht ausbrechen kann. Und das verändert sich nicht. Man fühlt sich gefangen in allem.“
Max ist 19 Jahre alt. Er hat im Sommer 2020 Abitur gemacht und im Herbst angefangen Architektur zu studieren. Max lebt in Saarbrücken bei seinen Eltern, eigentlich wollte er nach der Schule ausziehen, daraus wurde aus finanziellen Gründen nichts.
„Der erste Gedanke war halt, scheiße, ich bin so jung. Abi fertig. Lockdown. Was mache ich jetzt?
Während ich für’s Abi gelernt habe, war Corona nicht so schlimm. Aber dann war das Abi vorbei und ich hatte mega viel Zeit. Und dann war ich irgendwie ein bisschen verloren.
Ich hatte trotzdem einen guten Sommer. Ich hatte Leute, mit denen ich immer an den See fahren konnte. Es war aber auch nichts anderes möglich, alles andere war nicht zugänglich.
Nach der Schule wollte ich eigentlich durch halb Europa reisen. Ich wollte sogar noch ein bisschen weiter. Ich hab einen Kumpel, der hat ein Auto. Wir wären einfach gefahren. Low-Budget-mäßig, aber halt gucken, dass man viel macht und viel sieht. Das fiel flach. Wir hatten keinen Bock irgendwo hinzufahren und wenn wir zurück kommen erstmal zwei Wochen in Quarantäne zu gehen. Wir haben beschlossen, es aufzuschieben. Ich weiß nicht, auf dieses Jahr vielleicht. Wohl eher nächstes Jahr, dass wir auf jeden Fall irgendwie noch wegkommen.“
Was hast du dir von der Zeit nach dem Abitur erwartet?
„Den besten Sommer meines Lebens eigentlich. Du hast fucking Abi gemacht. Du warst zwölf Jahre in der Schule und dann stehst du da mit deinem Zeugnis, gut oder schlecht, scheißegal, und du konntest eigentlich machen, was du wolltest. Die ganze Welt lag eigentlich zu deinen Füßen. Wegen dem Lockdown lag sie halt nicht zu deinen Füßen. Und du lagst zuhause im Bett.
Ich habe gehofft, dass mich das Studium ein bisschen ablenkt von allem. Ich hatte zum Glück noch Präsenzveranstaltungen, was ja sonst fast niemand hatte. Ich hatte eine Projektwoche, in der ich den ganzen Tag an der Uni war. Dann war ich ’ne zeitlang immer zwei Tage pro Woche an der Uni. Jetzt ist wieder alles online. Der Studienbeginn hat sich wie eine große Veränderung angefühlt. Aber man denkt ja trotzdem jeden Tag, schade, dass Lockdown ist. Schade, dass ich nicht was anderes machen kann. In einer bisschen größeren Gruppe, mit ein paar Kommilitonen.“
Seit dem 16. Dezember 2020 ist Deutschland wieder im Lockdown. Wie ging es dir zu dieser Zeit?
„Das war scheiße. Weil ich den Kontakt zu den Anderen verloren habe. Aber es ist halt so, dass man in einen Rhythmus kommt vom Lockdown. Es ist jetzt nicht schlimm – also es ist scheiße – dass er länger andauert, aber man kommt besser damit klar. Irgendwie ist der Übergang fließend. Von Lockdown zu Lockdown. Okay, die Maßnahmen wurden jetzt nicht wieder gelockert. Da gehst du jetzt halt nicht raus trinken oder sowas.“ Ich weise Max darauf hin, dass er seit dem dem 1. November nicht mehr in Restaurants essen oder in Kneipen trinken kann. „Komisch, dass ich das jetzt so sage. Alles verschwimmt ein bisschen. Man verliert schon das Zeitgefühl.“
„Mein Studium ist mein Zeitvertreib zur Zeit. Das ist mir sehr wichtig. Ich meine das Studium ernst. Es ist mein Outlet. Ich denke, es hilft mir klarzukommen. Ohne hätte ich viel zu viel Zeit mit mir selbst. Das war noch nie gut für mich.“
„Letztes Jahr kamen die Depressionsschübe öfter. Nicht stärker als sonst, aber sie kamen öfter. In Situationen, in denen man sehr wenig zu tun hatte, in denen sehr viel Freilauf war, in denen ich oft nur da lag und nicht wusste, was ich machen soll.“
Was bedeutet Freiheit für dich?
„Freiheit ist eigentlich eine Wahl zu haben. Eine Wahl insofern, dass du durch deine Wahl andere nicht einschränkst. Wenn ich mich trotz Corona-Schutzmaßnahmen oder Lockdown in großen Gruppen treffe, auf Partys gehe oder so, dann bin ich jemand, der sich gegen die Corona-Politik stellt und somit dem Problem keine Lösung ist. Deswegen bleibe ich zuhause, auch wenn ich keinen Bock drauf habe.“
Über sein Silvester erzählt Max:
„An Silvester war ich bei Leon. Noch zwei Leute sind vorbeigekommen. Wir haben gesagt, dass wir sehr aufpassen, sonst wenig andere soziale Kontakte vorher haben. Normalerweise wären wir zehn bis zwanzig Leute gewesen. Wie letztes Jahr.
Der Gedanke, den abends alle hatten, war: „Hoffentlich wird 2021 besser. Viel schlechter kann es eigentlich nicht werden.“
Reflektiert habe ich 2020 nicht. Da hatte ich keinen Bock drauf. Es war einfach so ein Übergang ins neue Jahr. Ganz fließend, ohne irgendwelche großen Reflektionen, wie: Was ist dieses Jahr eigentlich passiert? Kann ich nächstes Jahr etwas anders machen? Hab ich mich weiterentwickelt? Darüber hab’ ich dieses Silvester vielleicht zum ersten Mal nicht nachgedacht.
Was komisch war: ab zwei Uhr nachts hatten wir schon Katererscheinungen. Wir haben uns alle gedacht, scheiße, wir sind alt geworden. Wir sind 19. Letztes Jahr an Silvester waren wir um 2 Uhr nachts auf den Weg in den Club. Wir haben uns alle älter gefühlt. Normalerweise hätten wir in der Situation das nächste Bier aufgemacht. Aber nee, haben wir nicht gemacht. Da hatte irgendwie keiner Bock drauf. Wir haben uns alle so alt gefühlt.
Ich glaube, das hat mit dem Lockdown zu tun. Wir mussten alle damit klar kommen, dass wir zuhause bleiben und nicht feiern gehen. Ich glaube das ist, wenn man 30 ist, auch so, dass du sehr viel Zeit zuhause verbringst und nicht mehr viel rausgehst.
Das war ein komisches Gefühl, aber es hat keiner ausgesprochen.
Auch, weil es so ein Thema ist, das keine gute Stimmung macht. Wir wollten den Abend genießen und alles, was passiert ist, ignorieren. Man hat auch keinen Bock mehr zu reden und nachzudenken, weil man jeden Tag mit dem selben Problem konfrontiert wird. Ich wollte mich einfach einen Abend nicht damit beschäftigen.“
Was erwartest du dir von 2021?
„Ich glaube, das Gleiche wie jeder. Dass es anders wird, dass es besser wird. Dass man nicht mehr in diesen Einschränkungen lebt.“
Und was wünschst du dir?
„Das schöne Leben, dass ich mir eigentlich vorgestellt habe. Studentenleben. Ein bisschen gestresst sein, aber auch viel unterwegs sein. Mit Leuten trinken gehen und so ein Zeug. Dieses ganz klischeehafte Studentenleben. Das hätte ich gerne.“
Ich habe am 10. Januar 2021 mit Max gesprochen.


Das gibt genau das wieder, was die meisten – auch die Alten – empfinden.
Haltet durch!
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