Eine Frau, die ich kenne, wurde im Februar 2019 Opfer von Polizeigewalt.
Sara – ich nenne sie so, weil sie unerkannt bleiben möchte – war zu diesem Zeitpunkt noch keine 20 Jahre alt. Sara hat dunkle Haut und eine zierliche Figur. Ihre Geschichte beginnt nach einer Nacht in einem Technoclub in Südwestdeutschland. Ich glaube nicht, dass sie sich auch so ereignet hätte, wäre sie weiß.
Sie erzählt:
„Ich bin mit einem Freund nach Hause gelaufen. Um sechs Uhr morgens. Es war noch dunkel. Im Winter. Im Februar. Nach einer Weile haben wir uns dann getrennt und ich bin allein weiter.
Dann kam ein Auto von hinten angefahren und hat auf meiner Höhe langsamer gemacht. Ein heruntergekommenes graues Auto. Drei Männer haben aus dem Fenster geschaut.“
Sie sagt, es seien drei weiße Männer zwischen 40 und 60 gewesen.
„ Als sie weiter gefahren sind, dachte ich erstmal: gut. Und dann bin ich gerannt, weil ich Angst hatte. Ich war schon in der Nähe von meiner Straße. Ich dachte, ich muss so schnell wie möglich nach Hause kommen.“
Nach dreißig oder vierzig Metern wendet das graue Auto dann und kommt zurück. Sara rennt schneller. „Dann sind sie aus dem Auto raus und mir hinterher gelaufen.“
Sara ist 60 Meter von ihrem Haus entfernt.
„Ich bin gerannt und hab mich in einem Hauseingang versteckt. Ich wollte meine Mama anrufen und sie sind immer näher gekommen. Ich hab Angst bekommen und rumgeschrien. Und dann haben sie irgendwann gerufen: „Stopp, Polizei!“, aber ich hab nicht geglaubt, dass das die Polizei ist.
Also, dass Männer, die mir nachts ohne Grund hinterherlaufen, Polizisten sein sollen.
Ich hatte auch keinen Rucksack oder sowas dabei. Ich hatte nur meine Daunenjacke an, darunter meine Hip Bag und eine Skinny Jeans.
Dann haben sie mich festgehalten an den Armen. „Jetzt haben wir dich endlich!“ haben sie gesagt. Einer hat mich gegrätscht, und dann wurde ich mit dem Gesicht auf die Straße gedrückt. Drei Männer waren auf mir drauf und haben mich in den Boden gedrückt.“
Sara sagt, in diesem Moment habe sie gedacht, ihr Leben sei vorbei. „Ich habe gedacht, okay, jetzt holen die mich ins Auto mit. Ich habe gedacht, jetzt bin ich gleich für immer traumatisiert. Ich wusste ja auch nicht, was jetzt gleich passiert.
Ich lag auf dem Bauch auf dem Kopfsteinpflaster. Sie haben gerufen „Ruhig jetzt! Ruhig jetzt!“ und „Hör doch jetzt auf!“; „ Polizei! Polizei!“
Bis dahin hab’ ich immer noch nicht geglaubt, dass es die Polizei ist. Man hat gemerkt, dass ich Angst hatte. Ich hab’ geheult und geschrien. Ich hab’ geschrien: „Meine Mama ist gleich da!“, weil ich mein Handy noch in der Hand hatte. Und dann haben sie mir mein Handy aus der Hand gerissen mir Handschellen angelegt.
Davor haben sie meine Hände festgehalten und mich auf den Rücken gedreht. Die Handschellen haben sie so zugemacht, dass ich danach Wunden an den Knöcheln hatte. Als ich hochgeschaut habe, habe ich gesehen, dass noch mehr Polizisten um mich standen. Die hatten ihre Uniform an. Ich hab noch gedacht: „Die Polizei ist doch da – warum helfen die mir nicht?“
Vorher haben sie einen Schlagstock rausgeholt.
Irgendwann durfte ich mich dann hinsetzen und war voll aufgelöst. Da habe ich gecheckt, dass die drei Männer wirklich von der Polizei waren, die anderen Polizisten standen ja nur um mich rum und haben nichts gemacht.
Ich hatte die ganze Zeit noch Handschellen an. Sie haben gesagt: „Haha, was hat die denn eingeschmissen? Wo ist dein Cannabis?“ Sie haben meine Tasche durchsucht .
Sie haben gesehen, dass ich kein Cannabis bei mir hatte. Sie standen um mich herum und haben auf mich herab geschaut und ich saß da immer noch in Handschellen auf der Straße.
Es waren drei Polizisten in Uniform, drei Polizisten in zivil und nur eine Frau – auch in Uniform.
Sie haben mich gefragt, woher ich komme. Sie meinten, sie müssten einen Alkoholtest machen. Ich habe sie gefragt, warum und wonach sie eigentlich suchten. Sie haben gesagt, sie suchen nach einem Einbruch.
Als sie mich gefragt haben, wo ich wohne und wie ich heiße, haben sie mir nicht geglaubt. Ich habe meinen Vor- und Nachnamen gesagt und dass ich gleich um die Ecke wohne.
„Jaja“, haben sie dann gesagt, „zeig erstmal deinen Ausweis.“ Nachdem Motto, du heißt nicht so und du wohnst da auch nicht.
Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass ich nirgends eingebrochen bin. Ich hatte ja auch keinen Rucksack oder so dabei. Es hätte ihnen auch klar sein müssen, dass ich unfassbar Angst hatte. Jeder hat in so einer Situation Angst.
Ich hatte immer noch Handschellen an und sie haben meinen Ausweis aus meiner Tasche genommen. „Ahja, du wohnst ja wirklich hier.“
Ich hab mich irgendwann nochmal gefasst und gesagt, dass ich das unverhältnismäßig finde. Ich hab‘ hochdeutsch geredet. Einer der Polizisten hat gesagt, ich hätte ihm nicht zu sagen wie er seinen Job zu machen hätte.
Nee, das sag ich ja auch gar nicht, aber es ist wohl voll klar, dass ich in so einer Situation Angst habe. Dann waren sie irgendwann so: “Ah, okay sorry.“
Sie haben mir hoch geholfen, mir die Handschellen abgenommen und mich gefragt, ob ich verletzt wäre. „Ja, ich weiß nicht.“, hab’ ich geantwortet. Ich war immer noch sau aufgelöst. Und ich hatte eine sau fette Beule an der Stirn. Sie haben mir mit einer Taschenlampe ins Gesicht geleuchtet und gesagt: „Ahja da, aber sonst gehts ja.“
Dann sind sie weggegangen. Ich habe gehört wie einer gesagt hat: „Haha, wir laufen Unverdächtigen hinterher.“
Zuhause habe ich meine Eltern geweckt und bin zusammengebrochen. Die ganze Nacht habe ich gezittert. Mir war sau schlecht. Ich hab da noch gar nicht drüber nachgedacht, dass es irgendwas mit meiner Hautfarbe zu tun hatte.
Das war Samstags. Ich bin am Montag mit meiner Mutter zur Polizeiwache gegangen, um Anzeige zu erstatten.
Wir haben mit dem zuständigen Polizisten geredet. Der Mann war respektlos. Er hat mich angeschrien und hat meine Mutter gefragt, warum sie mich da überhaupt nachts lang laufen ließe.
Er hat mich nicht ausreden lassen, ist cholerisch geworden.
Er hat so was geschrien wie: „Ja, die haben Angst. Versetzen Sie sich mal in die Lage der Polizisten! Es kann sein, dass die dann mal überreagieren, aber damit muss man dann auch rechnen.“ Eigentlich hat er die ganze Zeit gesagt, dass die Tat damit zu rechtfertigen sei, dass die Polizisten auch Angst haben.
Drei Polizisten – am Ende sechs – haben Angst vor einem zierlichen Mädchen ohne alles, mit Händen aus den Taschen?
Er hat angefangen uns zu beleidigen.
Im Polizeibericht stand, dass sie mich festgehalten haben, aber dass ich nichts gemacht habe. Dass es ein Missverständnis war.
Die Polizisten haben mir zu keinem Zeitpunkt ihren Ausweis gezeigt. Es wäre anders gewesen, hätten sie mich festgehalten und sich ausgewiesen. Aber sie haben mich auf den Boden geschmissen.
Wir haben Anzeige erstattet und unseren Anwalt eingeschaltet.
Heute ist es trotzdem noch so, dass ich mich besser fühle, wenn ich an einem unsicheren Ort bin und weiß, dass die Polizei in der Nähe ist. Aber es ist auch so, dass ich manchmal Polizisten anschaue und mir schlecht wird, weil ich dann wieder daran denke was passiert ist. Ich habe kein klares Bild von der Polizei. Aber es ist schon anders als vorher. Jetzt weiß ich, dass solche Sachen passieren.“
Seit dem Mord an George Floyd am 25. Mai 2020 durch einen weißen Polizisten protestieren Menschen überall auf der Welt gegen Rassismus und Polizeigewalt. Auch in Deutschland.
Saras Erfahrung hat mich lange beschäftigt.
Wenn ich vorher in den Nachrichten gelesen habe, dass Menschen in den USA aufgrund ihrer Hautfarbe Opfer von Polizeigewalt wurden, schien mir das immer weit weg. Aber Sara ist Deutsche. Sie hat diese Erfahrung in meiner Heimat gemacht.

